Sehr geehrter Claus Peymann,
nehmen Sie das zurück!
In ihrem Interview, dass Sie Ulrich Seidler am 29. 05. in der Berliner Zeitunggegeben haben, unterstellen Sie “ihren Schauspielern” zu denen auch ich einmal gehörte, dass wir Sie lieben, gerade weil Sie uns angebrüllt haben. Bitte! Nehmen Sie das zurück. Ich habe Sie nie geliebt. Ich kenne auch keine Kolleginnen oder Kollegen, die das tun.
Niemand wird gerne angebrüllt. Es ist kein künstlerischer Vorgang. Es ist Missbrauch. Von Macht.
Ich werde jetzt einmal zurück brüllen.
Sie werden beim Lesen sicher kaum glauben, dass das jetzt passiert. Eine Schauspielerin brüllt zurück? Eine Frau!? Unberühmt auch noch! Wie kann das sein?
Es kann, Herr Peymann! Die Dinge sind dabei, sich zu ändern. Diese Frau traut sich inzwischen, laut zu sein. Die Stimme zu erheben. Das Theater, dem Sie in Ihrem Interview Verkümmerung attestieren, ist dabei, sich zu transformieren.
Mit gesenktem Haupt habe ich es verlassen, das BE. Ihr kleines Königreich. Mitten in Berlin. Wir waren Ihnen ausgeliefert. Ihrer Gnade. Oder Ungnade: “Was spielst du denn da?! Arschloch!” Keine ungewöhnliche Anrede. Sie konnten es Sich leisten. Denn der Schauspieler, mit dem Sie so gesprochen haben, der war ja unfähig Ihre Visionen umzusetzen. Unbegabt! Und selber schuld, dass man ihn beschimpft.
Das ist das Problem mit Machtmissbrauch: Er ereignet sich fliessend. Im Grenzland. Und gewinnt von da aus Land. Ist das nun eine sehr emotional geäußerte Regieanweisung? Oder schon eine Demütigung? Ist es ein künstlerischer Vorgang, wenn man einer Schauspielerin mit Rauswurf droht? Weil sie Grenzen hat? Oder ist ihre Grenze einfach ein Zeichen, dass sie eben “begrenzt” ist? Nicht wert, dabei zu sein? “Unbegabt”, wie Sie sagen.
Der Unbegabte waren Sie! Es ist, wie Sie selber sagen, die Aufgabe eines Regisseurs, von “unten” aus dem Parkett, zu spiegeln, ob das, was sich auf der Bühne abspielt, funktioniert. Eine verantwortungsvolle Aufgabe! Es erfordert viel Talent, Menschen zum Strahlen zu bringen, sie dabei zu unterstützen, das Beste aus sich herauszuholen. Sie haben uns nicht einmal gesehen. Sie waren mit Sich selbst beschäftigt. Damit, ihre Macht und Geltung zu zementieren. Wie oft mussten wir es uns anhören: Wie erfolgreich Sie waren, damals, in Bochum und Stuttgart, der Zahnersatz für die Terroristen, ein unglaublich gelungener Coup, Castorf ja so überschätzt usw. usf. Dann kam die Wut.
Erinnern Sie Sich an die Inszenierung von Handkes “Untertagblues”? Ein Misanthrop fährt Bahn und beschimpfte seine Mitfahrer, die ihn, Kunstgriff, nicht hören können. Eine Weiterentwicklung der Publikumsbeschimpfung. Die Ensemblebeschimpfung. Wir, nahezu das komplette Enselmble, waren verdammt, die beschimpften Fahrgäste darzustellen. Stumm saßen wir da, übten wochenlang, so in den Hüften zu schaukeln, dass es nach “unterwegs” aussah und wurden beschimpft. Die Fahrgäste, die wir darstellen sollten: Kichernde Teenager, eine “feine Dame”, ein fotografierender Asiate, ein grauer Bürohengst, eine Arbeiterin. Tief aus der Mottenkiste gegriffene Klischees.
Ich fuhr damals mit der Bahn zur Probe. Jede verdammte Bahnfahrt war hundertmal so aufregend, wie unser Stück. Warum das so war? Lässt sich einfach erklären: Statt Bahn zu fahren, ließen Sie Sich chauffieren. Was sich in der Berliner S-Bahn ereignet, war ihnen völlig wurscht. Sie wussten nicht mal, was ein “Motz”-Verkäufer ist. Eine einzige Fahrt haben Sie, auf Anraten, gewagt. Ihr Chauffeur hat Ihnen das Ticket gekauft, Sie im Grunewald in den Zug gesetzt, ist mit dem Auto vor gerast um seinen unberechenbaren Chef am Zielbahnhof wieder einzusammeln. So haben Sie es uns erzählt. Ich weiss das so genau, weil es mich so beeindruckt hat. Es war so falsch!
Das Leben, dass wir abbilden sollten, fand draussen statt. Von Ihnen ignoriert. Sie waren damit beschäftigt, uns ihre Vorstellung davon aufzuzwingen. Die Spielverabredung: Bahnfahrer beschimpft Fahrgäste wurde zu: Intendant beschimpft Ensemble dafür, dass dieser Weg (der autokratische) eine Sackgasse ist. Dahinter steht eine folkloristische Idee von Theater: Der hochbegabte Künstler, der Menschenmasse formt. Das brüllende Genie. Wir Spieler sollten dankbar sein! Für die Form, in die wir gepresst wurden. Lieben sollen wir Sie, zum Dank. Nein danke! Brülle ich.
Ausgerechnet Liebe! Das geht zu weit. Zum Teufel mit der Liebe! Die Liebe ist die Emotion, die Missbrauch möglich macht. Sie ist unsere größte Stärke und kann gleichzeitig die größte Schwäche sein. Dass Sie ausgerechnet die Liebe beschwören, Herr Peymann, ist so absurd, wie genial! Sie wissen, wo Sie uns treffen können, nicht?
Herr Peymann! Auch wenn Sie diese Wendung jetzt überraschen wird: Ich fordere Sie heraus!
Treten Sie mit mir in den Ring! In Ihrem Interview wenden Sie Sich gegen die “Cancelculture”. Nun. Auch mir ist das “canceln” suspekt. Und Ihr Interview liefert eine fantastische Vorlage, warum es mir suspekt ist: Weil es um die Liebe geht!
Hier werden jetzt ganz viele aufschreien. Falsch! Es geht um Macht! Ich entgegne: Ganz genau! Aber: Die beiden sind aneinander gekoppelt! Missbrauch funktioniert nur da, wo Liebe ist. Und genau das ist das Problem. Wir können ja nicht auf sie verzichten! Ein Leben ohne Liebe gibt es nicht. Was aber, könnte die Lösung sein? Der Gegenpart zur Liebe ist der Hass. Rache. Kein guter Weg.
Ich möchte einen anderen Vorschlag machen:
Kämpfen wir! Umeinander. Mann, Frau, divers! Sehr berühmter Intendant mit eher wenig berühmter Schauspielerin.
Worum? Na, darum, wie es besser geht!
Um es besser zu machen, müssen wir uns stellen. Dem, was war. Das, was sich am BE hinter den Kulissen agespielt hat, war nicht gut. Ich habe es als demütigend empfunden. Als psychische Gewalt. Warum war das möglich? Wer ist schuld? Das System? Herr Peymann ganz allein? (Wollen wir ihm diese Macht auch noch zugestehen?) Oder wir alle, die da mitgemacht haben?! (Auch ich!)
Kommen Sie, Herr Peymann! Treten Sie mit mir in den Ring. Beginnen wir. Sie und ich. Ein komplett undenkbares Paar. Lassen sie uns eine Performance dazu aufführen, wie es besser gehen kann. Kein canceln! Keine Rache. Auseinandersetzung. Weil es um alle(s) geht. Ich traue mich! Und Sie?
Mareile Blendl